Wie du wütend gegen den Schnee trittst und ich denke, Mann, was für ein Idiot. Und trotzdem ahne, was du mir bedeuten wirst.

Warum ich dich schön finde.

Manchmal liege ich nachts wach, draußen rieselt leise der Schnee – ganz wie im Lied -, und ich liege wach und mir fällt dein Gesicht wieder ein. Große, dunkle Honigaugen und ein wunderschönes, breites, immerzu amüsiertes Grinsen. Ich vermisse dich dann schrecklich, mein Herz klopft und ich fühle mich plötzlich lebendig, als ich nur in Gedanken meine Arme um dich schlinge und dich fest an mich drücke. Eine herzliche Gedankenumarmung, nur für dich. Weil ich dich tief in meinem Herzen trage.

Sechs Jahre sind vergangen. Sechs Jahre und wir halten unsere Geschichte fest, wir halten sie verborgen und immer wieder versuche ich, sie zu erzählen. Ich versuche die ungesagten Worte zu erfinden und die erzählenden Blicke, die uns so oft haben sprachlos werden lassen. Wir haben Wettrennen mit einem blassroten Sonnenaufgang gemacht – und gewonnen. Wir sind nachts ans Meer gefahren und haben uns nicht getraut, uns an den Händen zu halten. Wir haben uns wirklich böse Worte an den Kopf geworfen und wir haben ganz große, traurige Lieder gespielt. Vor hunderten von Menschen eine Liebeserklärung gelebt, die keiner, außer uns, verstanden hat.

Manchmal hast du mich unsagbar schön gefunden, dass du nichts mehr sagen konntest. Ich weiß das, ich konnte die Schönheit sehen, wie sie sich in deinen Augen gespiegelt hat. Momente, in denen ich zum ersten Mal begriff, dass auch ich, ausgerechnet ich, wirklich sehr schön sein kann.
Aber du hast mich auch häßlich gefunden, hast versucht, mich abzuschütteln, immer dann, wenn du gesehen hast, dass ich eigentlich eine Künstlerin bin. Immer, wenn du mir nicht folgen konntest, in diese seltsame Welt voller Farben und Worten, die du einfach nicht verstanden hast, dann war ich für dich sehr häßlich. Aber du hast mich trotzdem geliebt. Und darüber bist du oft sehr wütend geworden. Auf mich, auf das Leben, auf dich selbst.

Und immer, wenn ich einen Raum betrete und du bist da, dann ist es jedes Mal aufs Neue so, dass wir siebzehn werden und uns in einem unglaublichen Sommer verlieren. Es ist deine Anwesenheit, die die Luft schmückt. Deine Blicke, die sich über Wortgefechten hindurch einen Weg bahnen. Ich kann nicht anders, ich kann nicht böse sein, über das, was geschehen ist. Weil ich so froh bin, dass ich dich damals gesehen habe. Wie du vor deinem Roller stehst, siebzehn Jahre alt, du rauchst eine Zigarette. Wie du wütend gegen den Schnee trittst und ich denke, man, was für ein Idiot. Und trotzdem ahne, was du mir bedeuten wirst. An dir habe ich zum ersten Mal erfahren, was es bedeutet, zu lieben. Und nicht nur darauf zu warten, selbst geliebt zu werden.

Zum ersten Mal geliebt habe ich dich, als du mir mein Englischbuch aus den Händen gerissen und zum Fenster hinaus geworfen hast. ,,Schluss mit lernen“, hast du gemeint und mich angegrinst, bevor du mir ein Kissen an den Kopf geworfen hast. Wir sind durch mein Bett gekugelt, wir haben gelacht und den Sommer über unseren Köpfen hinweg treiben lassen. Es gibt eines, was uns immer tief verbunden hat: Wir wollten Kinder bleiben. Es ging uns nicht um den Sex, das Küssen, das Zusammensein. Es war, wie wir uns gekitzelt haben, gelacht und schließlich erschöpft nebeneinander eingeschlafen sind, deine Hand auf meinem Bauch und unter meinem Arm ein herzförmiges Kissen. Wir wollten nicht am harten Leben abprallen, wir wollten uns verstecken.

Ich liebe dich so sehr, weil ich dich so wunderschön finde, in deiner Art, einfach zu sein, was du bist. Du liebst dein Auto und du robbst über den Boden, wenn es sein muss. Du machst verrückte Sachen, weil du den Ernst des Lebens nicht aushalten kannst. Du lachst dich wie auf einem Floß davon. Und nachts hast du Angst davor, dass die kalte Seite neben dir für immer leer bleiben wird. Dass es niemals eine Frau aushalten wird, dass du manchmal so unnahbar bist, dass du so furchtbar hohe Erwartungen stellst, dass du so eine kalte, fiese Angst in deiner Magengrube spürst, vor dem, was sich zwischen den großen Menschen abspielt. Du willst niemals so werden wie sie. Und bist es irgendwie schon.

Ich vermisse dich manchmal so schrecklich, dass es auf eine wunderbar warme Art, weh tut. Es ist nicht, dass ich wieder mit dir zusammen sein möchte oder darüber nachdenke. Es ist nicht, dass ich vermisse, wie du mein Gesicht in deine Hände nimmst und mir einen vorsichtigen Kuss auf den Mundwinkel drückst. Oder wie du neben mir liegst, eingerollt in deiner verflissenen Sternendecke und ein ,,Ich liebe dich“ dahin hauchst, so, als wären es Zauberworte, die man behutsam anfassen muss. Nein, das ist es nie gewesen, was uns verbunden hat. Dieses klebrig romantische Ding, damit konnten wir nichts anfangen. Kann ich heute noch nicht.

Ich finde keine Worte, die es benennen. Aber es war zum Beispiel die Nacht, als ich hinter dem Tresen gestanden und immerzu Gläser abgewaschen habe. Du hast dich auf den Barhocker gesetzt und deinen Kopf auf deine Arme gelegt. So lagst du da mit geschlossenen Augen, um ab und zu heimlich zu mir rüber zu schielen. Manchmal habe ich dir eine Cola hingestellt und ich habe dich gefragt: ,,Weißt du noch? Als du mir zum Meer gefolgt bist?“
,,Was habe ich?“, du schaust auf und in deinen Augen glänzt auf einmal neues Leben.
,,Ja. An dem Tag, an dem du mir erzählt hast, dass du in der Badewanne geschlafen hast.“
Du schüttelst entrüstet deinen Kopf, so, als würde ich etwas unanständiges erzählen. Aber in deinen Augen liegt eine Zärtlichkeit, die fast weh tut. Die ich fast nicht aushalten kann.
,,Wenn ihr wollt, passe ich kurz auf.“, sagt der schwere Muskelmann neben dem Tresen und grinst. ,,Wozu?“, frage ich irritiert.
,,Na, damit ihr tanzen gehen könnt.“
,,Wollen wir?“, frage ich dich und mein Herz macht einen Sprung, weil es mich so eine Überwindung kostet, dich das zu fragen.
Und dann tanzen wir über die Tanzfläche, als beinahe einziges Paar. Es ist morgens, vier Uhr, fast alle Gäste sind weg und mir schlägt das Herz bis zum Hals, obwohl ich dich seit drei Jahren kenne, schon hundertmal neben dir geschlafen, dich schon so oft berührt habe. Aber immer wieder ist es, als würden wir uns zum ersten Mal berühren, zum ersten Mal ein Land betreten, welches uns bis heute unbekannt geblieben ist.
Du lachst, sagst, dass du es um diese Zeit nicht besser kannst. Du weißt, dass ich das Tanzen seit einem Jahr professionell verfolge.
Ich kann dein Herz schlagen spüren. Mir wird schwindelig.

Wir sind haarscharf aneinander vorbei geprallt. Ich bin sicher, irgendwo gibt es eine Parallelwelt, in der unsere Kopien diesen einen wichtigen Augenblick nicht verpasst haben, in dem sie ausgesprochen haben, was beide dachten. Eine Welt, in der ich nicht aus der Heimat geflüchtet bin und in der du dich getraut hast, mir diese eine, wichtige, Frage zu stellen. Wir sind dort nicht immer glücklich, manchmal verfluche ich deine blöde Art und manchmal findest du mich sehr nervend. Aber wir finden uns immer wieder, wir verlieren uns nicht, wir wissen, dass wir es nirgendwo wiederfinden würden, das, was zwischen uns steht und das, was wir niemals ganz loslassen und aufgeben können.

Es ist wie damals, in der Disco. Als wir uns gerade angebrüllt haben, frisch getrennt und todtraurig, weil wir doch eigentlich was anderes wollten. Gerade siehst du mich hasserfüllt an, als dieser betrunkene Vollidiot vorbei latscht, stehen bleibt, uns freiherzig und naiv angrinst und völlig sorglos daher plappert: ,,Ach, wisst ihr was, wenn ihr beide Kinder hättet, die wären ganz sicher total intelligent.“, sprach es und zieht weiter, während wir peinlich berührt auf unsere Schuhspitzen starren und an Kinder mit großen Augen denken, mit Wuschelhaaren, die so sind, wie wir, nur besser. Nur nicht ganz so hohl und engstirnig und mutlos. Zweimal in sechs Jahren wäre ich beinahe schwanger von dir geworden.

Heute lebe ich in der bunten Großstadt und du bist noch immer in der Freiwilligen Feuerwehr. Du spielst Fußball und gehst an den Wochenenden auf die Scheunenpartys. Du hast ein bisschen Angst davor, dass irgendwann alle weg sind und du als einziger übrig bleibst.
Ich studiere und arbeite und werde irgendwann die Welt sehen, hoffentlich.

Trotzdem hat sich nichts geändert. Mich an dich zu erinnern, ist, wie nach Hause zu gehen. Ein heimeliges Gefühl in der Magengrube. Es ist, als würde ich tanzen, schwerelos, als würde ich in Gedanken über ein Parkett schweben, welches nur für uns daliegt. Es ist, als würde ich in eine Welt abtauchen, die nur wir beide kennen, die es nur wegen uns gibt, und Kraft schöpfen, um das Unmögliche zu versuchen. Ich weiß, dass das geht. Du hast mir das beigebracht. Du hast mich damals gerettet, als ich siebzehn war und meine Cola auf deine Jeans verschüttet habe. Als ich später weinend auf dem Klo saß und du mir eine SMS geschrieben hast: ,,Komm wieder raus!“ Und ich raus gekommen bin, mit einem feuchten Lächeln, und du mir deine Jacke um meine Schultern gelegt hast. Als ich noch deine Rockgöre und dein Psychiater war.

Ich habe lange gedacht, ich müsste aufhören, dich zu lieben. Man müsste das, weil alle das tun. Weil es sonst keinen Sinn ergibt. Ich habe versucht, zu joggen, um dir davon zu rennen. Aber Tatsache ist, dass meine Liebe immer nur größer geworden ist, dass sie nicht weg geht, dass sie da ist, nicht, wie ein Feuer, sondern wie ein großer Bruder, mit dem ich mich nicht immer gut verstehe, aber zu dem mich trotzdem alles verbindet. Ich habe aufgegeben, zu versuchen, es zu erklären oder es umzubenennen. Aufgegeben, eine gute Freundin für dich zu werden und aufgegeben, aus uns eine funktionierende Beziehung zu machen. Stattdessen lebe ich mein Leben, liebe, streite und freue mich und manchmal, manchmal eben, liege ich nachts wach und erinnere mich an dich. Momente, in denen ich das Leben durch meine Blutbahnen pulsieren spüre, in denen ich dich so schrecklich vermisse und in denen ich dich gedanklich fest umarme, in der Hoffnung, dass du das spüren kannst, nicht, um dich an mich zu erinnern, sondern, um dir irgendetwas zu geben. Du warst das, was man Jugend nennt. Oder erste große Liebe. Und heute bist du meine allerschönste Erinnerung, mein Seelentröster und du bist es, der aus mir gemacht hat, was ich heute bin.
Eine Frau, die versucht, eine Schriftstellerin zu werden. Ob gut oder schlecht, das vermag ich nicht zu urteilen, aber ich muss es zumindest versuchen.

Weißt du, ich wünsche dir alles Gute auf dieser Welt. Ich wünsche dir, dass du glücklich wirst, dass du dich findest und diese Ruhe spüren lernst, die ich dir nie erklären konnte. Dass du die Stille zu schätzen weißt und dass du nicht immer suchen musst. Dass du auch mal ankommst, manchmal findest und dich an dir selbst festhalten kannst.

Weißt du, ich hasse es, wenn ich wegen dir so kitschig und romantisch werde. Wenn ich da hocke, mit glänzenden Augen und triefige Texte schreibe, wenn ich immer wieder über die Zeilen fräse, um sie grober und brutaler zu schreiben, damit es nicht so rosa ist. Nicht so… rosarot. Das mögen wir beide nicht. Aber ich habe noch nicht gelernt, bodenständig zu schreiben. Ich übe noch, die Liebe wie das Leben selbst zu beschreiben. Also, bitte, solltest du das hier jemals lesen, verzeih mir.