Aufgeregt stand ich vor deiner Tür. Sollte ich klingeln oder lieber einfach wieder gehen? Ich blieb stehen. Angewurzelt. Starr. Einfach so. Wir haben uns zuvor noch nie gesehen, trotzdem haben wir uns jeden Tag gehört. Ein Phänomen der neuen Zeit, in der man sich über Dating Apps auf die Suche nach der großen Liebe begibt. Oder manche eben nur auf die Suche nach einem Abenteuer.

Ich war immer die Erste, die du angerufen hast, wenn irgendetwas passiert ist, was du unbedingt loswerden wolltest. Und auch du warst der Erste, an den ich gedacht habe, wenn bei mir etwas passiert ist, jedes Mal, jeden Tag. Und das nach so kurzer Zeit. Auf einmal warst du da, einfach so. Du warst da, in meinem Kopf und in meinen Gedanken, in meinem Leben. Ich nahm mein Mut zusammen und klingelte an deiner Tür, draußen war es stürmisch, kalt und weiß vom Schnee. Der Winter war bereits auf Hochtouren. Zitternd stand ich da. Du öffnetest die Tür und hast mich mit deinem charmanten Lächeln sofort in deinen Bann gezogen. Es dauert nicht lange bis mir warm wurde. Das Zittern jedoch blieb. Deine betörende, raue und unglaublich männliche Stimme, gaben mir sofort ein wohliges Gefühl. Aufregung durchströmte mich. Wir verbrachten einen schönen Abend bei Pizza und Kerzenschein. Romantischer hätte es kaum sein können. Im Hintergrund lief leise das Album von Ben Howard und der Song “Only love” blieb die ganze Nacht in meinem Kopf, ein Ohrwurm, der mich durch die Zeit mit dir begleitet hat. Vor allem in dieser Nacht, in der ich das erste Mal neben dir eingeschlafen bin.

Wir haben uns ab da regelmäßig, unregelmäßig gesehen. Jeden Tag wartete ich sehnsüchtig auf eine Nachricht von dir. Ich wollte dich sehen, dich riechen, deine Hände auf meiner Haut spüren, deine zärtlichen Küsse erwidern und deine betörende Stimme hören. Ich wollte mich geborgen fühlen, einfach bei dir sein. Und du, ja du wolltest eigentlich immer nur das Eine.

Ein kleines Mädchen, in dieser großen Stadt, verliebt in diesen Mann, der so unerreichbar und doch so nah war. Jedes Mal hat es mir das Herz zerrissen, wenn die Nacht vorbei war, wenn einer von uns beiden gehen musste, der Abschied nahte und ich nie wusste, ob ich dich je wiedersehen würde. Würdest du dich melden oder mich einfach allein lassen? Konntest du mich überhaupt noch alleine lassen? War ich nicht längst allein? Allein mit meinen Gefühlen, die du nicht erwidern konntest oder wolltest. Trotzdem war der Drang, dich zu sehen da, er war viel größer, als die Zweifel die in mir wohnten.

Du brauchtest nur schnippen und ich bin gesprungen. Nachts hast du mich betrunken angerufen und gefragt, ob ich noch zu dir kommen würde. Ich bin aus meinem Tiefschlaf aufgesprungen und durch die ganze Stadt gefahren, nur um neben dir einzuschlafen, obwohl du so betrunken warst, dass ich Angst haben musste, dass du es nicht mal mehr schaffst, mir die Tür aufzumachen, weil du inzwischen eingeschlafen bist. Aber ich habe es in Kauf genommen, für ein paar Stunden in deiner Nähe.

Zehn Monate verlief dieses Katz- und Mausspiel und wenn ich heute darauf zurückblicke, bin ich sprachlos. Sprachlos darüber, was du mit mir gemacht hast, wie du mich gesteuert hast. Ich war machtlos. Atemlos in deinem Bann. Nie wieder hat mich jemand so angezogen wie du. Du bist der eine Mensch, den ich wohl nie vergessen werde. Du hast mich abhängig gemacht. Anhängig von dir und von deiner Nähe.

Ich fasste meinen Mut zusammen und erzählte dir, dass ich mich in dich verliebt habe. Deine Reaktion war zu erwarten. Ich sei süß und dass wir gucken müssen, wo das hinführt. Wo das hinführt? Nach zehn Monaten? Immer wieder hast du mir einen Strohhalm gegeben, an den ich mich klammern konnte. Du wusstest, was ich hören wollte und gabst mir die ersehnten Worte. Warst da, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und ich war wieder für eine kurze Zeit beruhigt. Dass unser gemeinsamer Weg immer nur im Bett endet, war eigentlich für jeden klar. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Nicht sehen. Ich glaubte an mehr. Blind und gesteuert von meinen Gefühlen. Lächerlich für alle, die es von außen betrachtet haben. Aber was ergibt schon einen Sinn, wenn man verliebt ist?

Einige Wochen später schaffte ich es dennoch und zog einen Schlussstrich. Ich konnte und wollte dich nicht länger sehen, dir das geben, was du wolltest und mich selbst dabei verlieren. Schlaflose Nächte. Ein tränenüberströmtes Gesicht. Ja, das war ich und das tagtäglich. Leer und doch so voller Sehnsucht. Ich habe mir selbst so sehr gefehlt, dass ich mich verloren hätte, wenn ich keinen Schlussstrich gezogen hätte. Ein täglicher Kampf gegen meine Gefühle, gegen mein Kryptonit, gegen dich. Der Kontakt brach völlig ab. Einfach so warst du nicht mehr da. Ich fiel in ein tiefes Loch und musste jeden Tag kämpfen, nicht doch wieder den Kontakt zu dir zu suchen. Meine Gedanken fraßen mich förmlich auf aber ich habe den Kampf gewonnen. Ich blieb stark.

Eines Abends sah ich dich in dieser Bar. Sechs Monate haben wir uns nicht gesehen oder gehört. Ein Mädchen mit langen blonden Haaren stand neben dir. Du hast sie geküsst, wie du mich geküsst hast und du hast sie angesehen, wie du mich angesehen hast. Dein charmantes Lächeln, es war wieder da, aber diesmal war es nicht für mich. Ich nahm mein Mut zusammen, wie damals vor deiner Haustür, an der ich lieber nie geklingelt hätte. Ich ging zu dir und begrüßte dich und du wusstest im ersten Moment nicht einmal, wer ich bin. Nach nur sechs Monaten war ich anscheinend aus deiner Erinnerung verblasst. Mit einer freundlichen Umarmung hast du es überspielt. Abgetan, als wäre ich irgendjemand. Eine flüchtige Bekanntschaft. Ob es wegen des Mädchens war, oder weil du es wirklich nicht wusstest, war mir in dem Moment egal. Verletzt hast du mich so oder so. Du hast mir mit deiner Reaktion den Boden unter den Füßen weggerissen. Trotzdem lächelte ich dich an und ging weiter Richtung Toilette. Auch ich überspielte in diesem Augenblick meine zerbrochene Welt hinter diesem Lächeln, das nicht gespielter hätte sein können. Ich tat so, als würde mich das alles nicht interessieren. Ich blieb stark. Als die Tür hinter mir zu fiel, fiel auch meine starke Fassade ab. Die Tränen liefen über mein Gesicht. Sie liefen und ich stand da, fühlte mich leer und hilflos. Wie kann es sein, dass du mich nach Monaten wieder in ein so tiefes Loch ziehen konntest und das, obwohl so offensichtlich war, wie egal ich dir war. Dies sollte das letzte Mal sein, dass ich dich gesehen habe. Das letzte Mal für alle Zeit.

Ein paar Monate später lag ich abends in meinem Bett. Meine Gedanken spielten verrückt und auf einmal warst du wieder präsent in meinem Kopf. Einfach so, einfach da. Monate nachdem wir uns das letzte Mal gesehen haben. Warum? Ich musste mich selber quälen und schaute auf dein Profil. Ich wollte nur mal sehen, was du so treibst, wie es dir so geht, ohne mich.

Was ich dort sah, ließ mein Atem stocken, ließ mein Körper zittern, ließ alles um mich herum erstarren. Es wurde kalt, so kalt wie an dem Wintertag, an dem wir uns das erste Mal gesehen haben. Mein Körper war regungslos. Ich starrte auf mein Handy. Das leuchtende Licht durchdrang die Dunkelheit und das, was dort zu sehen war, drang langsam, ganz langsam zu mir vor. Du bist nicht mehr da, du bist von uns gegangen, ganz unerwartet einfach eingeschlafen in deinen jungen Jahren. Ich werde dich nie wieder sehen. Nie wieder. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich konnte und wollte nicht glauben, dass Beileidsbekundungen zu lesen waren über dich. Nach Minuten der Fassungslosigkeit, der Regungslosigkeit, schossen Tränen in meine Augen, sie liefen mein Gesicht hinab, während ich das Schwarzweiß-Foto von dir anstarrte. Das grelle Licht vom Handy erlosch, ich saß in der Dunkelheit einfach da. Gab mich meiner Trauer hin. Nach endlosen Stunden mit einem tränenüberströmten Gesicht und einem Stechen in der Brust schlief ich ein. Im Hintergrund lief “Only Love” in Dauerschleife. Der Song, der noch heute meinen Atem für ein paar Sekunden still stehen lässt. Ich werde ihn wohl ewig mit dir verbinden.